Sätze wie z.B. „Wie sag ich meinem Hund, dass er das NICHT tun soll?“ oder „Aber ich muss ihm doch NEIN sagen!“ höre ich relativ häufig, wenn Kursteilnehmer zum ersten Mal in
meine Hundeschule kommen. Und gar nicht so selten sehe ich erst mal große Augen skeptischer Teilnehmer, wenn ich versuche, den Denkansatz zu verändern.
Was mich dann immer wieder sehr erfreut ist, dass diese Teilnehmer dabei bleiben und immer weniger bis (fast) gar nicht mehr korrigieren und „nein-sagen“ müssen.
Keine Grenzen – keine Erziehung?
Manche werden jetzt denken: „Oh nein – noch so eine Trainerin, die keine Grenzen setzt und den Hund nicht erzieht?“
Nein! Ganz im Gegenteil! Ich trainiere wahnsinnig gern und mache sehr viele verschiedene Sachen mit Hunden und Mensch-Hund-Teams – von Grunderziehung über Beschäftigung bis hin zu Hunden mit
Jobs, wie Therapiebegleithunden und Assistenzhunden, die im Dienste des Menschen verlässliche und reproduzierbare Leistungen erbringen müssen!
Widerspruch ist das keiner! Die Hunde und ihre Menschen lernen (auch ohne, dass man dem Hund sagt, was er nicht darf!) – und das oft wahnsinnig schnell! Aber wie geht das?
Was ist „fehlerfreies Lernen“?
Man hat schon vor Langem herausgefunden, dass Fehler für das Lernen nicht nötig sind – wir können auch lernen, ohne Fehler zu machen. Daraus resultiert: wir können unsere Hunde auch ohne
Korrekturen trainieren. Aber nur, wenn wir sehr gut planen!
Wie funktioniert „fehlerfreies Lernen“?
Voraussetzungen für fehlerfreies Lernen sind:
Bemerkungen
Die Umweltbedingungen entsprechend zu gestalten
Die Umweltbedingungen entsprechend zu gestalten
Bei unbekannten, ablenkungsreichen oder unsicheren Umweltbedingungen kann Belohnung (Futter/Spiel) ev. nicht angenommen werden und effizientes Lernen wird schwierig oder unmöglich.
Belohnen üben – womit, wo und wie wird belohnt
Durch vorheriges Üben kann die Belohnung rasch und in günstiger Form erfolgen und eine rasche und RICHTIGE Assoziation ermöglichen.
Das Zielverhalten exakt definieren
Nur, wenn man eine exakte Vorstellung vom Zielverhalten hat, weiß man, welche Verhaltensansäzte man schon bzw. besser nicht belohnen sollte!
Das erwünschte Verhalten in kleine Trainingsschritte unterteilen
Aus der Definition des Zielverhaltens ergeben sich die Trainingsschritte!
In der Regel kann man gut nach folgendem Schema trainieren:
- Zielverhalten herstellen – d.h. die Weichen so stellen, dass das erwünschte Verhalten sehr wahrscheinlich auftreten wird – z.B. den Hund zunächst ins Liegen locken
- Signal (ehem. Kommando genannt) einführen – z.B. „PLATZ“
- Dauer erhöhen – die Zeit, die der Hund zwischen 2 Belohnungen liegen bleiben soll, wird länger
- Ablenkungen einbauen – alles, was der Hund spannend findet, ist eine Ablenkung und kann genützt werden; nicht vergessen: erwartbare Alltagsablenkungen trainieren!
- Distanz erhöhen – der Abstand zwischen Hund und Mensch wird vergrößert, z.B. bis der Mensch außer Sicht gehen kann
WICHTIG: immer erst von kurz nach lang und von einfach nach schwierig arbeiten!
Exakt an 1 neuen Kriterium pro Trainingsschritt zu arbeiten
- Kannst du 5s liegen bleiben, wenn ich ruhig neben dir stehe
- Kannst du 5s liegen bleiben, wenn ich meine Arme bewege
- Kannst du 5s liegen bleiben, wenn ich meine Beine bewege
- Kannst du 7s liegen bleiben, wenn ich ruhig neben dir stehe
- …
Sukzessive die Leistung nach nur relativ wenigen Wiederholungen steigern
Anstatt – wie es früher üblich war – viel zu schwierige und nicht geübte Dinge immer und immer zu wiederholen und Fehler laufend zu korrigieren (z.B. den Hund immer wieder hinzulegen, wenn er unerlaubt aufgestanden ist), geht man folgendermaßen vor:
- Man beginnt mit minimalen Anforderungen
- Man verändert fast in jedem Durchgang eine winzige Kleinigkeit
- Die Veränderung soll so klein sein, dass der Hund die Aufgabe immer bewältigen kann
- Dadurch man aber ständig etwas verändert und leicht schwieriger macht, kommt man viel rascher und freudiger ans Ziel (und ohne Fehler und Frust auf beiden Seiten)
Dabei muss man auch erkennen lernen, wann das Tier bereit für den nächsten Schritt ist!
Auf Bekanntem aufzubauen oder nötige Teilschritte vorab trainieren
Komplexe Verhaltensweisen aufsplitten und einzelne Komponenten vortrainieren und unter Signal setzen, um sie dann gezielt abfragen zu können
„Fehlerfreies Lernen“ ist also eigentlich „fehlerfreies LEHREN“!
Da wissenschaftliche Studien untermauern, dass fehlerfreies Lernen möglich ist, resultiert daraus auch, dass die Fehler, die passieren, vom Lehrenden (also von uns Menschen) ausgehen.
Möchte man also dem Ideal des fehlerfreien Lernens immer näher kommen, muss man den Trainingsaufbau so gestalten, dass der Hund jeden Trainingsschritt (möglichst) immer erfolgreich bewältigen kann.
Woran scheitert es?
Viele Menschen – und viele Trainer – haben immer noch eine hohe Erwartungshaltung an den Hund, ohne ihm jemals beigebracht zu haben, welches Verhalten in welcher Situation erwünscht und angebracht ist.
Sie bestrafen das Tier für unerwünschtes Verhalten, ohne jemals das erwünschte Verhalten strukturiert mit dem Hund aufgebaut und unter den erwartbaren Ablenkungen trainiert zu haben.
Faire Bedingungen schaffen!
Seien Sie also fair – verlangen Sie nicht von Ihrem Hund, dass er Verhalten zeigt, dass Sie ihm niemals schlüssig vermittelt haben! Qualifizierte Trainer werden Sie dabei unterstützen, rasch, fehlerarm und effizient Ihre Ziele mit Ihrem Hund zu erreichen!
Literatur:
Murray Sidman: Errorless Learning and Programmed Instruction: The Myth of the Learning Curve. Eur. J. Behav Anal 2010, 11, 167-180
Dr. Michaela Artwohl
https://www.voeht.at/michaela-artwohl/