„Wir möchten aber gerne einen Welpen, dem kann man noch alles beibringen, und der hat noch nicht so viele schlechte Erfahrungen gemacht!“
Diesen Gedanken hegen viele Menschen, die sich entschließen, einen Hund aus dem (Auslands-)Tierschutz aufzunehmen.
Welpen sind immer offen, verspielt, dem Menschen und Artgenossen zugetan und irgendwie ein unbeschriebenes Blatt – eine ganz häufige Fehlannahme.
Gut darüber informiert und fit für den kleinen Neuzugang zu sein hilft zu verhindern, dass eine solche Adoption zu einem enttäuschten „Das haben wir uns ganz anders vorgestellt…“ führt.
Dazu gehört das Wissen, was in diesem kleinen Lebenwesen bereits gewirkt und es geformt hat, bevor es bei uns landet - und vielleicht gar nicht so ist, wie erwartet.
Wichtig ist, hier genau hinzusehen und nicht alle „Tierschutzwelpen“ über einen Kamm zu scheren. Nicht auf alle trifft das nun Folgende zu, nicht alle haben ungünstigste Voraussetzungen. Unsere
Verantwortung ist es aber, sie zu kennen und ihnen bei Bedarf Rechnung tragen zu können.
Welpen sind kein unbeschriebenes Blatt
Bei Welpen, besonders aus dem Auslandstierschutz oder von unseriösen Vermehrer.innen, steht oft bereits zuviel auf diesem Blatt, bei manchen viel zu wenig – zumindest von dem, was sie für ihr
neues Leben brauchen könnten.
Das liegt allerdings nicht nur daran, dass der Tierschutzwelpe gesetzeskonform erst mit frühestens 15 Wochen in sein neues Zuhause reisen kann und daher schon wichtige Entwicklungsphasen
durchlaufen hat, bevor er ankommt. (Der Grund dafür ist übrigens der frühestmögliche Zeitpunkt für die Tollwutimpfung mit 12 Wochen, und die gesetzlich vorgegebene anschließende Wartefrist von 21
Tagen.)
Bereits vor seiner Geburt werden die Weichen dafür gelegt, wie er seine Umwelt erlebt und wie er mit ihr umgehen kann. Eine generationenlange Abstammung aus einer Straßenhundpopulation, in der
Vorsicht und ausgeprägtes Meide- und Fluchtverhalten angesichts möglicher Gefährdungen durch Mensch, Tier oder Umwelt die Mutter der Porzellankiste und Überlebensgarant sind, zeigt sich
natürlich auch in ihren Sprösslingen. Von Natur aus vertrauensselige, draufgängerisch-neugierige Exemplare erreichen in solchen Umständen kaum ein fortpflanzungsfähiges Alter und damit gehen
diese Eigenschaften in der Population tendenziell verloren.
Auch die Lebensumstände der trächtigen Mutter beeinflussen, wie ihre Welpen auf Umweltreize reagieren werden.
Stress, traumatische Erfahrungen und Mangelernährung wirken sich sensibilisierend auf das Stresssystem des Welpen aus, schon im Mutterleib. Wer nun die Bilder und Videos aus Massensheltern oder
von notdürftig durchgefütterten Straßenhundgruppen zB in Rumänien oder Bulgarien betrachtet, findet diese Umstände leider erfüllt.
Wir sehen, bereits vor und während der Entstehung unseres Welpen gibt es wichtige Voreinstellungen, die die kleine Hundepersönlichkeit mit formen.
Ob zu viel oder zu wenig auf dem Blatt steht …
ist in vielen Fällen nicht das einzige Thema, das es zu beachten gilt. Die ebenso bedeutende Frage ist nämlich, ob das, was auf seinem Blatt steht, für den Welpen in seiner neuen Lebenswelt brauchbar und hilfreich ist.
In seinen ersten Entwicklungsphasen bildet sich im Welpenköpfchen ein erstes Bild seiner Lebenswelt, mit dem alle weiteren Erfahrungen abgeglichen werden. Gerade bei Welpen aus großen Tierheimen,
in denen die Hunde in Zwingern gehalten werden, ist dieses Bild eines mit nur ganz wenigen Elementen. Diese sind fast ausschließlich jene Umweltreize, denen ein Welpe in einem Zwinger, mit seinen
Geschwistern oder anderen Hunden, ohne Auslauf und mit wenig menschlichem Kontakt, konfrontiert ist – eine magere Auswahl.
Daher hat unser Welpe in seiner neuen Lebenswelt kaum etwas oder nichts, das in diesem Bild vorkäme, und damit vertraut und beruhigend wäre.
Für uns Alltägliches muss kleinstschrittig kennengelernt werden, da wir sonst unweigerlich in eine völlige Überforderung des kleinen Hundegehirns abrutschen. Sein System kann das nur mit
Stressreaktionen beantworten, und nachhaltiges Angstlernen muss unbedingt vermieden werden!
Daher ist es ein wirklich nicht ungefährliches Ammenmärchen, dass so ein Hund möglichst schnell möglichst viel kennenlernen muss!
Manchmal steht auch zuviel auf dem Welpenblatt. Gerade in Zwingerhaltung sind schwierige Erfahrungen wahrscheinlich, auch wenn sie auf den ersten Blick gar nicht so dramatisch erscheinen.
Seltenes, unsensibles Handling durch den Menschen kann zu Schwierigkeiten im Vertrauens- und Bindungsaufbau zum Menschen führen, Konflikte um Nahrung, Wasser und Liegeplätze das spätere
Verhältnis zu Artgenossen oder die Neigung zu Ressourcenthematiken ungünstig beeinflussen.
Auch fehlende Möglichkeiten zur entspannten Ruhe und für tiefen Schlaf, ein Zuviel an Wachsamkeit und Gefahrenscannen, wirken sich negativ aus.
Ein innerhalb der Straßenhundepopulation geborener und aufgewachsener Welpe ist für dieses Dasein optimal aufgestellt und vorbereitet , nicht für ein Leben in einer Familie im trauten Heim – das trifft für den Hund aus dem rumänischen, bulgarischen, polnischen...Tierheim genauso zu.
"Aber in dem Video…"
Bei der nicht unproblematischen, aber sehr häufigen Direktvermittlung aus dem Ausland stehen bei der Auswahl des Welpen lediglich Fotos, Videos und die Einschätzungen und Beschreibungen der Tierschützer:innen vor Ort zur Verfügung.
All das kann nur wiedergeben, wie sich der Welpe vor Ort, in seiner gewohnten Umgebung, realtiv gut Bekanntem gegenüber verhält und ist daher besonders für das ungeübte Auge nur ein schwaches Indiz dafür, wie sich der Zuwachs in seiner neuen Lebensumgebung zurechtfinden wird.
Also Finger weg?
Wie eingangs erwähnt – nicht auf jeden Welpen aus dem Tierschutz treffen alle genannten Punkte zu. Jeder der kleinen Hunde, die uns aus Vermittlungsanzeigen entgegen blicken, ist eine individuelle Persönlichkeit. Ob seine Adoption zu vielen schönen, gemeinsamen Jahren führt oder auf einen für alle Beteiligten steinigen Weg, liegt auch daran, ob sich seine zukünftigen Menschen bewusst sind, wo die Herausforderungen liegen können, ihre Erwartungen dem anpassen, sich umfassend vorinformieren, und sich kompetente fachliche Unterstützung holen, am besten bereits vor Einzug des neuen Familienmitgliedes.
Ein weiteres Ammenmärchen ist jedoch, dass manche Lernerfahrungen nach einem gewissen Zeitfenster in der Welpenentwicklung nicht mehr möglich sind. Diese Lernerfahrungen laufen anders ab, als in
den frühen Phasen, und eine achtsame Anleitung und Begleitung durch den Menschen ist nötig.
Dabei helfen gut ausgebildete, in der Arbeit mit Tierschutzhunden erfahrene Verhaltenstrainer:innen gerne weiter.
Zu finden unter:
www.voeht.at
www.grinsehunde.com
Susanne Junga-Wegscheider
Diplompädagogin und tierschutzqualifizierte Hundetrainerin
Fotos: Susanne Junga-Wegscheider
Anmerkung der VÖHT:
Die Blogtexte geben die individuelle Meinung und Herangehensweise der Autorin, des Autors wieder.