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Herausforderung Tierarztbesuch!

- oder was sein muss, muss sein

Gehen Sie gerne zum Arzt? Also ich nicht, mir ist das immer irgendwie unbehaglich. Und ich kann jeden Hund verstehen, der sich beim Tierarzt unwohl fühlt. Ab und zu muss leider jeder Hund zum Tierarzt, unwohl hin oder her. Manche haben Glück und sind wirklich nur einmal im Jahr zur Kontrolle dran, andere sind lebenslang Stammgäste in der Tierarztpraxis. Vermutlich ist es für die meisten Tiere ein unangenehmes Ereignis, für manche sogar ein ganz schreckliches. Es gibt sogar Studien, die sich damit befassen, ob und wie viele Tiere beim Betreten der Praxis zumindest ängstlich sind, angeblich rund 80 %. „Zumindest ängstlich“ ist dabei noch ziemlich harmlos formuliert, denn oft ist es wirklich große Angst und sogar Panik, um die es dabei geht.

 

Für die Tiere ist das ein furchtbarer Zustand und auch die zugehörigen Menschen lässt das meist nicht kalt. Abgesehen davon, dass diese Angst, die Aufregung und das daraus resultierende Verhalten die Arbeit der Tierärztin bzw. Hundefriseurin deutlich erschwert und womöglich sogar zu Bissverletzungen führt.

 

schlechtes benehmen

Mit schlechtem Benehmen oder mangelnder Erziehung hat es in der Regel nichts zu tun, wenn Ihr Hund sich beim Tierarzt aufführt. Sein deutliches Abwehrverhalten ist keine Folge von "schlimm" oder gar "dominant". Es ist vielmehr ein deutliches Zeichen von Überforderung und Sie sollten es als solches wahrnehmen.

Auch wenn Ihr Hund sich zwar nicht wehrt, aber wie ein Häufchen Elend dahockt und zittert, sind Ihre Aufmerksamkeit und Unterstützung gefragt. Denn auch das zeigt, dass Ihr Hund mit der Situation nicht gut klarkommt und Ihre Hilfe braucht.

 

da muss er durch! muss er da durch?

 So ein Tierarztbesuch ist ein echtes Gruselkabinett:

  • fremde und ziemlich ungemütliche Umgebung
  • unbekannte Menschen
  • die Individualdistanz des Hundes wird deutlich unterschritten
  • die Kommunikationssignale werden nicht beachtet
  • Gerüche, die vermutlich von Angst, Stress und Schmerzen berichten und das in einer Intensität, die wir uns gar nicht vorstellen können
  • ein nervöses Frauchen oder Herrchen an der Seite
  • Schmerzen und/oder Unwohlsein
  • ungewohnte Berührungen
  • unbekannte Gerätschaften
  • "Keine Ahnung", was jetzt passieren wird
  • ...

Die Liste lässt sich noch eine ganze Weile fortsetzen, aber Sie verstehen ohnehin schon, was ich meine. Das Tierarzttraining beinhaltet ein ganzes Bündel an Themen wie Stress und Stressmanagement, Umgang mit Angst, Impulskontrolle, Frustrationstoleranz, etc.

 

Natürlich ist mir klar, dass Tierarztbesuche nun mal gelegentlich sein müssen und Sie Ihrem Hund nicht alles ersparen können, was unangenehm für ihn werden kann. Aber Sie können ihn so gut wie möglich auf kommende Herausforderungen vorbereiten und ihn dabei begleiten und unterstützen, mit diesen Herausforderungen klarzukommen. Denn genau das ist Ihre Aufgabe als TeamführerIn, als fürsorgliche und vorsorgende Bezugsperson: Ihren Hund mit möglichst vielen Kompetenzen und Strategien auszustatten, umsichtiges Management zu betreiben und ihm beizustehen, wenn es notwendig ist.

 

mit dem kind zum zahnarzt

Wer vorhat, mit dem Nachwuchs zum Zahnarzt zu gehen, wird das Kind wohl auf dieses Ereignis vorbereiten. Je nach Alter des Kindes und auch je nachdem, welche Art von Behandlung oder Untersuchung bevorsteht, kann diese Vorbereitung natürlich sehr unterschiedlich aussehen. Vermutlich erfährt das Kind, wie es in der Ordination aussieht, dass es dort eine besonders nette Dame am Empfang gibt und einen seltsamen Sessel, in dem man mehr oder weniger "überkopf" drinnen sitzt.

 

Vielleicht - je nach Alter - kann das Kind Bilder von den Gerätschaften anschauen, jemand macht das Brummen des Bohrers nach und spricht auch an, dass es manchmal ein bisschen wehtun kann. Wie auch immer es im Detail aussehen mag, man versucht dem Kind die Angst vor dem Unbekannten zu nehmen bzw. sie gar nicht erst entstehen zu lassen. Am Tag X hat das Kind eine Vorstellung davon, was gleich vor sich gehen wird.

 

Ähnlich ist der Ansatz im Tierarzttraining oder Medical Training: Gut etablierte Abläufe mit vielen bekannten Details ermöglichen dem Tier sich darauf einzustellen, was als nächstes kommt. Wenn jetzt A passiert, ist anschließend B dran! „Das war immer so, darauf kann ich mich verlassen.“ Zu wissen, was als nächstes passiert, gibt eine gewisse Sicherheit.

 

Jede noch so winzige Kleinigkeit, jedes Utensil, jedes Geräusch, jede Berührung, die der Hund bereits kennt - und mit guten Emotionen und angenehmen Situationen in Verbindung bringt, bringt Erleichterung für den Ernstfall.

 

kooperationssignale

Mit umsichtigem Training bereiten Sie Ihren Hund nicht nur auf konkrete Abläufe vor, Sie räumen ihm sogar eine Art Mitspracherecht ein. Dafür nutzt man sogenannte Kooperationssignale. Mit deren Hilfe kann Ihr Hund deutlich signalisieren „Jetzt kannst du beginnen!“. Genauso deutlich – und das ist noch viel wichtiger – zeigt das Tier „Hör‘ jetzt auf!“

 

Mensch und Tier treffen mit einem Kooperationssignal eine Vereinbarung, die eine verbindliche Garantie enthält: der Hund kann sich fest darauf verlassen, dass der Mensch sofort reagiert und die Behandlung einstellt, wenn er das möchte.

 

Kooperationssignale sind eine große Hilfe, egal ob in der Ordination, beim Hundefriseur oder bei der häuslichen Pflege. Der Hund nimmt eine bestimmte Position ein, um damit zu signalisieren, dass jetzt Manipulation, Berührung etc. vorgenommen werden dürfen. Und er verlässt die Position, wenn er eine Pause braucht.

 

Interessant dabei ist, dass die Tiere diese Möglichkeit zur Unterbrechung bzw. Beendigung einer Behandlung recht wenig nützen, wenn sie das Konzept erst einmal verstanden haben. Das Bewusstsein, jederzeit eine Pause bekommen zu können, lässt sie offenbar besser durchhalten.

 

pause garantiert!

Es ist ein verbindlicher Vertrag, den Sie mit Ihrem Hund eingehen, wenn Sie mit Kooperationssignalen arbeiten. Das heißt, Sie garantieren Ihrem Hund, dass er die Pause bekommt, wenn er sie erbittet. Wenn Sie nicht bereit sind, diese Garantie zu geben, dann sind Kooperationssignale nichts für Sie.

 

Es gibt viele möglichkeiten

Für ein Kooperationssignal bedient man sich gerne eines Targets (Target = Ziel). Der Hund legt z.B. sein Kinn auf das Target, einen Topflappen, einen Untersetzer oder etwas Ähnliches, um sein Einverständnis zu erteilen. Solang er ihn dort liegenlässt, ist die Berührung oder Behandlung möglich. Hebt er den Kopf, ist sofort Pause. Das heißt „Hände weg“ und die Manipulation wird eingestellt oder zumindest unterbrochen.

 

Weitere gängige Möglichkeiten sind ein Stationstarget, bei dem der Hund mit den Vorderbeinen auf dem Target steht, eine Vorderpfote, die auf einer erhöhten Unterlage oder der Hand abgelegt wird, das Schultertarget für die Seitenlage oder eine Stehposition oder das Nasenrückentarget für die Zahnkontrolle.

 

auf Routinehandlungen vorbereiten

Wenn in absehbarer Zeit ein Tierarztbesuch bevorsteht, besprechen Sie sich rechtzeitig mit Ihrer TierärztIn, was genau gemacht wird und wie. Angenommen es ist eine Blutabnahme geplant, dann finden Sie heraus, an welchem Bein und wo in etwa das Blut abgenommen werden soll, ob die Stelle rasiert wird und wie lang das Ganze im Normalfall in etwa dauert.

 

Ihr Trainingsplan könnte dann u.a. die folgenden Schritte beinhalten:

  • Ihr Hund legt die betreffende Pfote auf Ihre Hand oder eine bestimmte Unterlage
  • lässt die Pfote dort eine Weile liegen
  • Pfote liegenlassen, während
  • kleine leichte Berührungen an Pfote und Bein stattfinden
  • Berührungen deutlicher werden
  • Rasierapparat oder Schermaschine danebenliegt
  • Schermaschine in Entferung eingeschaltet wird
  • Schermaschine die Pfote berührt
  • eingeschaltete Schermaschine die Pfote berührt
  • ...

So oder so ähnlich könnten Sie Ihren Hund mit den Vorgängen rund um eine Blutabnahme vertraut machen.

 

Es mag ein wenig mühsam klingen. Sie werden aber sehen, dass es mit einem vernünftigen Trainingsplan weder umständlich noch schwierig ist. Es braucht neben diesem guten Plan lediglich Geduld, ein sicher etabliertes Markersignal und passende Belohnungen.

 

Ich staune immer wieder - und meine TrainingsteilnehmerInnen mit mir,  wie schnell Hunde lernen können, selbst unangenehme Berührungen und Behandlungen freiwillig und gut mitzumachen.

 

einwirkungen kleinschrittig üben

Einwirkungen wie Berührung, Druck etc. werden kleinschrittig geübt. Nach und nach darf der Hund angefasst werden, während er z.B. den Kopf auf dem Target ablegt. Die Berührungen werden intensiver, länger, fester. Auch diverse Utensilien kommen zum Einsatz. Besonders Gerätschaften, die Geräusche oder Vibrationen verursachen, wie z.B. die erwähnte Schermaschine, sollten Sie mit ins Training einbauen.

 

Ihr Hund bekommt dadurch die Möglichkeit, in seinem eigenen Tempo verschiedene Berührungen, selbst unangenehme, kennenzulernen. Er erlebt, wie sich unterschiedliche Materialien am Körper anfühlen, Metall, Holz, Kunststoff, Gummi, Glas etc.

 

Nach und nach wird Ihr Hund so mit unterschiedlichsten Positionen, Abläufen und Gegenständen vertraut. Zunächst passiert dies alles in einer entspannten, ablenkungsarmen Trainingssituation, in der Sie beide Spaß und Freude am gemeinsamen Üben haben. Ihr Hund erlebt, dass Sie eine verläßliche PartnerIn für ihn sind und zuverlässig die Pause gewähren und damit Ihren Teil des Vertrages einhalten.

 

Die guten Gefühle, die Sie auf diese Weise mit all den Vorgängen in Zusammenhang bringen, kommen Ihnen später in den unterschiedlichsten Situationen zugute. Nicht nur in der Ordination oder im Hundesalon, auch zuhause entschärfen Sie damit viele Handlungen und nehmen ihnen den Schrecken.

 

ein gebot der fairness

Diese Art des Trainings wird immer populärer und das ist gut so. Ich finde, es ist eine Frage der Fairness, sich gemeinsam mit dem Hund auf vorhersehbare schwierige Situationen vorzubereiten.

 

Medical Training ist wirklich für jedes Team machbar. Es ist so individuell wie die Tiere selbst. Und es zahlt sich auch aus, wenn Ihr Hund schon in die Jahre gekommen ist. Aber es braucht seine Zeit! Denn das Tempo bestimmt allein der Hund. Und je nachdem, welche Erfahrungen er gemacht und welche Strategien er sich im Laufe der Zeit angeeignet hat, wird es nicht immer einfach für ihn sein, sich auf neue Vorgehensweisen einzulassen.

 

Vor allem braucht diese Art des Trainings neben Geduld auch Behutsamkeit und Respekt vor den Gefühlen, Erfahrungen und Ängsten des Tieres.

 

von welpenbeinen an

Mit dem Tierarzttraining brauchen Sie nicht zu warten bis Probleme auftreten. Sie erleichtern sich und Ihrem Hund damit viele alltägliche Vorgänge. Denken Sie nur an das Entfernen einer Zecke, das Auskämmen der Haare an empfindlichen Stellen oder die Kontrolle von Mäulchen und Ohren.

 

Diese Art des Trainings ist zudem beziehungsfördernd und tut der Bindung gut. Gerade mit Ihrem Welpen können Sie mit dem Training von Kooperationssignalen, Handling und Berührungen beginnen und Sie beide werden ein Hundeleben lang davon profitieren.

 

Wenn Sie jetzt auf den Geschmack gekommen sind und gemeinsam mit Ihrem Hund in die Umsetzung kommen möchten, gibt es dazu bald  beim Tierarzttraining-Workshop in Söll oder im Onlinekurs Tierarzt- und Pflegetraining die Möglichkeit, dies unter Anleitung zu tun.

 

Ich wünsche Ihnen Freude und Erfolg mit fairem Training und viel fröhliches Wedeln in Ihrem Leben

 

Fotos: Karin Immler

Anmerkung der VÖHT:

Die Blogtexte geben die individuelle Meinung und Herangehensweise der Autorin, des Autors wieder.