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Nicht so wie bestellt

HUNDEGESCHICHTEN

Wenn der Hund, der ankommt, nicht so ist, wie gedacht

Direktadoptionen sind aus unterschiedlichen Gründen immer noch häufig.

 

In sozialen Medien und auf Internetplattformen finden sich unzählige Hunde, die in zum Teil fürchterlichen Umständen in ihren Ursprungsländern leben, und denen auf diesem Weg zu einem Zuhause verholfen werden soll. Nach erfolgreicher Bewerbung wird der Hund in sein Zielland verbracht und seinen neuen Menschen übergeben – und dann zeigt sich auf den ersten Metern des gemeinsamen Daseins, dass Erwartung und Tatsachen ganz oft nicht eins sind...

 

hunde aus dem internet

Die folgenden Hundegeschichten von Cuki, Lord und Nala nehmen mit auf den teils holprigen, und ja, auch riskanten Weg von Direktadoptionen und zeigen, wie es zu all dem kommen konnte.  

 

Zur Adoption stand CUKI

„Cuki ist 8 Monate alt, und sitzt nun bereits seit 6 Monaten im Shelter auf gepackten Köfferchen und wartet sehnsüchtig auf ihre Familie. Alle ihre Geschwister durften schon ausreisen. Sie ist manchmal ein Wenig schüchtern, aber freundlich zu allen Menschen und Hunden und verspielt. Das Gehen an der Leine muss sie noch lernen. Cuki ist mittelgroß und wahrscheinlich ein Labi-Mix.“

WAS ANKAM ...

Als Cuki ankommt, begrüßt sie nicht freudig ihre angenommen lang ersehnte Familie. Sie flüchtet hinter das Sofa und ist kaum hervor zu bekommen. Mit Müh und Not ins Geschirr gesteckt und vor die Tür verfrachtet, drückt sie sich an den nächsten Gartenzaun und versucht dann panisch zu flüchten, als Passanten vorbei kommen.

 

Cuki mag nicht spielen. Wedelt man ihr mit Spielzeug vor der Nase, drückt sie sich auf den Boden und wendet den Kopf ab.

 

Cuki sucht angesichts anderer Hunde das Weite – nur geht das angeleint nicht, und sie beginnt, auf immer größere Distanzen Hunden zu verbellen.

 

Ihrer Familie wird das langsam zuviel, weil Cuki zwar blond ist und weiches Fell hat, aber nicht und nicht zu wachsen aufhört – Labi-Größe und auch jede Ähnlichkeit mit einem solchen hinter sich lassend.

 

Das, was da in der Ecke ihres Wohnzimmers liegt, ist nicht das, was sich die Familie gewünscht hat. Zusätzlich löst sich Cuki immer noch ab und an in der Wohnung statt draußen auf der Wiese.

 


Zur Adoption stand LORD

„Lord, unser 4jähriger Schäferhund-Mischling, wird seinem neuen Menschen ein treuer Begleiter sein. Er hat zwar bisher nicht viel Gutes erlebt, ist aber nach dem Kennenlernen ein wirklich netter Kerl und Musterschüler. Er zeigt sich rassetypisch lernwillig und kann mit seinem freiwilligen Paten im Tierheim schon zeigen, dass er gut an der Leine geht und Sitz und Platz kann. Zwei Jahre im Shelter sind genug, es ist Zeit, dass Lord endlich den Alltag mit SEINEM Menschen teilen darf!
Den Katzentest im Tierheim hat er auch mit seinem Paten bestanden!
Bei anderen Hunden entscheidet die Sympathie.“

 

Was ankam ...

Lords neue Menschen haben nach den ersten Versuchen eines Spazierganges, die man sich recht reibungslos erwartet hat, Arme bis zum Boden. Fremde Menschen findet er gruselig, und tut das nach vorne gehend kund, wenn man ihnen auf dem Gehweg begegnet. Besucher zuhause erwartet ein derart beeindruckendes Bellkonzert, dass Besuche immer rarer werden.
Lords neue Menschen wollen sich erst freundlich, dann streng in die angeblich bekannten Grundkommandos retten, weil Hundesichtungen ähnliches Gezerre und in die Leine Springen mit Getöse auslösen. Streng löst allerdings nicht das Problem, sondern führt dazu, dass Lord sich auch dem anderen Ende der Leine nun ab und an nicht sehr freundlich gesonnen, misstrauisch und abwehrend zeigt.

 

Seinen neuen Menschen graut vor Spaziergängen, sie agieren nun auch zuhause eher vorsichtig mit ihm, da sie vor ihm in einigen Situationen erschrocken sind und sich nicht sicher sind, ob sie ihm trauen können.


Er knurrt manchmal beim Anleinen oder wenn man sich zu plötzlich seinem Liegeplatz nähert.


Ihre Katze, die seit 12 Jahren ihr Leben teilt, entkam der ersten Begegnung mit Lord nur in einem Stück, weil dieser kurz zögerte, bevor er die Verfolgung aufnahm. Die Katze wohnt nun im Schlafzimmer.


So haben sich seine Menschen ihren, wie sie dachten, gut trainierten Alltagsbegleiter nun wirklich nicht vorgestellt…

 


Zur Adoption stand NALA

Nala ist ca. 35 cm hoch und wir schätzen sie auf ungefähr 12 Jahre. Die Hundefänger haben sie in einem Vorort streunend aufgegriffen.

Nala ist eine ruhige Hündin, die lieber für sich ist und kaum aus ihrer Hütte kommt. Man kann sie gut anfassen. Sie braucht auf ihre alten Tage dringend ein warmes Körbchen, damit wäre sie schon zufrieden.“

WAS ANKAM ...

Kurz nach Nalas Übernahme ergeht ein Email an die Vermittler:innen. Nala wäre ja wirklich süß, auch stubenrein, aber es gäbe einige Probleme, mit denen man so nicht gerechnet habe.


Unlängst wäre sie wieder einmal nicht in ihrem Körbchen, das sie sich doch im Tierheim so ersehnt habe, gelegen, sondern auf dem guten Sofa. Als man sie runter schieben wollte, wäre sie zuerst ganz bockig steif liegen geblieben, und als man am Halsband ziehen wollte, habe sie geschnappt.


Von wegen, man könne diesen Hund gut anfassen! Und auf ihren Namen hört sie null.

Dass ein Hund mit 12 Jahren noch so lang und flott spazieren geht, das hätte auch niemand gedacht, eigentlich war das nicht der Plan gewesen.


Nalas neue Menschen arrangieren sich mit den Spaziergängen, sind nur völlig entnervt, weil Nala bei Sichtung großer Hunde kreischend im Geschirr hängt und das wirklich peinlich ist.


Sie mussten ein neues Brustgeschirr kaufen, weil man Nala nichts über den Kopf ziehen kann.


Nala macht manchmal merkwürdige Dinge, jeden Vormittag setzt sie sich zum Beispiel in Habt-Acht-Stellung vor die Wohnungstür und beginnt nach einiger Zeit zu kläffen.


Sie verfolgt ihre neuen Menschen wortwörtlich bis auf die Toilette und kratzt an geschlossenen Türen. Als sie einmal angebunden vor der Bäckerei warten sollte, „nur ganz kurz“, hatte sie die Leine durchgebissen und war ins Geschäftslokal gelaufen. Besser als auf die Straße, aber unangenehm war das trotzdem.

 

 


In allen drei Fällen heißt das Problem:

„Der Hund ist überhaupt nicht, wie beschrieben!“

Wie kann das sein?


Laufen im Tierschutz nur vorsätzliche Täuscher und Tarner durch die Gegend, die bewusst irreführende Vermittlungstexte schreiben?
Hat sich der Hund entschlossen, endlich dem Shelter entflohen, sein wahres Gesicht zu zeigen?


Ist das immer so, bei jedem Hund aus dem (Auslands-)Tierschutz?
Bekommt man nur beim Züchter einen perfekten Hund?
 Auf alle vier Fragen lautet die definitive Antwort: nein.

Dennoch gibt es diese Situationen, und sie sind – wenn auch für alle Beteiligten beanspruchend und unerfreulich – erklärbar. Dazu muss man sich einige Tatsachen über Hunde, ihre Herkunftsumstände und den Auslandstierschutz vergegenwärtigen.

An den Beispielen von Cuki, Lord und Nala gehen wir auf Ursachenforschung.

Vermittlungstext – zwischen den Zeilen lesen!

Im Vermittlungstext stehen tatsächlich keine falschen Informationen – es steht dort, was von den Tierschützern über Cuki zu erfahren war, und was sie annahmen.

Cuki
Aufgrund ihrer Farbe und ihres Gesichtes nahm man bei Cuki, als sie ca. 11 Wochen alt war, Labrador-Beteiligung an. Ja, auch weil Labis beliebte Hunde sind, und daher sowohl die Mischung mit einem als auch Cukis Vermittlung als solcher Mix wahrscheinlich ist.
Nur ist bei Cuki ein guter Anteil Kuvasz dabei. Diese hellfellige Herdenschutzhunde imposanter Größe wurden und werden im Ursprungsland auf Nutzen gezüchtet. Fremde Lebenwesen toll zu finden und an kurzer Leine neutral-gesellig durch belebte Straßen zu gehen gehören zu diesem Bild nicht dazu.

Cukis Alter wurde recht gut eingeschätzt – und bei genauerer Überlegung wird klar, dass sie essentiell wichtige Entwicklungsphasen in einem Tierheimzwinger verbracht hat. Es war ein gut geführtes Tierheim, sie hatte es ja nicht einmal schlecht dort – es gab andere junge Hunde, es gab ausreichend Nahrung und eine sogar dichte Hütte und ein Dach über einem Teil des Zwingers. Jeden Tag kam ein Mensch zum Füttern und Saubermachen, manchmal kamen auch andere Menschen ans Gitter und sprachen mit den Hunden. Um nicht zu riskieren, dass sich die jungen Hunde mit allem Möglichen anstecken, durfte aber außer dem Pfleger niemand hinein – und die Hunde nicht herausgenommen werden.

Kulturschock
Hier klaffen die Prioritäten des Tierschutzes in vielen Herkunftsländern mit dem, was man unter Sozialisierung und Vorbereitung auf ein Leben als Familienhund versteht, weit auseinander.


Überleben garantieren und gesund erhalten, mit oft knappen Mitteln, war auch in Cukis Herkunftstierheim Priorität.


Nichts wurde hier vorsätzlich versäumt – es gab keine Möglichkeiten.
Cukis Erlebniswelt war eine kleine, eingeschränkte, die sie nicht auf ihr jetziges Dasein vorbereiten konnte.

In dem ihr über Monate wohl bekannten Umfeld war Cuki tatsächlich freundlich-aufgeregt, wenn Menschen, wie die Tierschützer, die ihren Text verfasst haben, kamen. Anfassen kannte sie ja nicht wirklich, da ging sie lieber ein Wenig auf Distanz – alles in der Sicherheit ihres Zwingers, ihrer Gruppe. Sie kannte ihre vierbeinigen Mitinsassen gut, wusste mit ihnen zu kommunizieren, sie spielte mit ihnen auf die immer gleiche Art und Weise, andere Hunde gab es höchstens auf Sicht in den nächsten Zwingerreihen. Ja, Cuki war in ihrem Zwinger mit allen toll verträglich – fremde Hunde in fremder Umgebung kannte sie nicht. Spielzeug gab es nicht, aktives Spiel mit Menschen auch nicht. Was man nicht kennt, macht Angst. Und deshalb sind diese Dinge jetzt Teil dieses Gruselkabinetts, das ihr neues Leben sein soll. Ihr Löseuntergrund war ihr Zuhause – auf die Wiese außerhalb des Zwingers kam sie ja nie.

Nicht wie bestellt…
und dennoch nicht vorsätzlich oder nachlässig falsch geliefert, das ist Cuki. Ihre Menschen wollten einen jungen Hund, der leicht Teil der Familie werden kann.
Cuki entsprach nach dem, wie die vermittelnden Tierschützer sie in ihrer kleinen, bekannten Welt erlebt haben, ja tatsächlich diesem Bild.
Was weder von ihnen noch von Cukis neuer Familie bedacht wurde, ist der enorme Unterschied zwischen Cukis bisheriger und ihrer neuen Lebenswelt. Cuki konnte nichts von all dem lernen, was man für einen Familienhund als selbstverständlich betrachtet. Zusätzlich dazu, dass sie diese Flut neuer Erfahrungen ängstigt und sie am Lernen hindert, haben sie auch ihre Gene nicht für das vorgeformt, was man in ihrer jetzigen Umwelt gern von ihr hätte.

Cukis Menschen haben die ersten Versuche in einem Junghundekurs in einer Hundeschule abgebrochen, weil Cuki mit den fremden Youngstern nicht spielen konnte und schließlich in die Defensive ging. Sie fror ein, wenn man sie in einfachste Übungen zu locken versuchte, und stand mit ihren Menschen bald nur noch in einer Ecke.

Lord
Lernen und Training – das wie zählt!


Bei Lord nahmen seine Menschen an, relativ wenig Zeit in Training investieren zu müssen, da er ja laut Tierheim die wichtigsten Dinge schon konnte. Bei ihnen zuhause klappte nichts davon. Sie haben sogar schon versucht, die Kommandos auf Ungarisch zu geben, ohne Erfolg – Lord zeigte sich nur noch gestresster.

Wurde hier gelogen, wurde der Hund gar nicht trainiert?
Doch, er wurde – von einem Freiwilligen, der vor Ort in einer Hundeschule tätig ist und es sich zum Hobby gemacht hat, mit Hunden im Tierheim zu trainieren. Zweimal in der Woche kam er und holte Lord aus seinem Zwinger und übte mit ihm auf dem Schotterweg vor dem Tor.

Was Lord gelernt hat...und wie
Für Lord war der Zwinger und die Langeweile kaum erträglich. Wenn der Mann, sein Pate kam, freute er sich daher – obwohl er sich vor ihm auch fürchtete. Er bekam von diesem Menschen Aufmerksamkeit, auch mal ein etwas raues Kopftätscheln oder Schulterklopfen oder sogar einen Hundekeks. Und er bekam ein Stachelhalsband angelegt, um ihn besser korrigieren zu können, weil er als ehemaliger Kettenhund zog wie eine Lok.


Lord lernte schnell, dass dieser Mann, der sich immer sehr gerade und die kurze Leine immer sehr fest hielt, ihm wehtut, wenn er ihn nicht gleich versteht. In der Hoffnung, das zu vermeiden, und statt dessen auf ein freundlich gebrummtes „Jò!“ oder eine Zuwendung, gab er sich größte Mühe, obwohl in seinem Kopf alles durcheinander rauschte. Er begann, die Vorankündigung einer Korrektur bereits zu erkennen und schaffte es so meist, das Richtige zu tun. Er legte sich, bevor der Fuß des Mannes auf die Leine treten konnte. Er saß, bevor die Hand mit der Leine nach oben schnellen konnte. Wenn er nichts angeschafft bekam, verharrte er lieber neben dem Bein des Mannes, auch wenn er innerlich vibrierte – so wie damals, als sie ihn ins Katzenhaus gebracht haben. „Jò!“ hatte der Mann damals gesagt und Lord an der kurzen Leine wieder nach draußen gebracht.

Nicht wie bestellt….
Das ist auch Lord. Er hatte vor Adoption in einem sehr beschränkten Setting über massive Korrekturen gelernt, bestimmte Signale einer bestimmten Person an einem bestimmten Ort auszuführen.
Hunde sind Kontextlerner. Die Körpersprache des Paten gehörte für Lord genauso zu den Signalen wie der Schotterweg, das Bellen der anderen Tierheimhunde im Hintergrund und der Geruch der kurzen Lederleine. Und wie die Furcht davor, etwas falsch zu machen.
Auch wenn diese Trainingseinheiten seine einzige Abwechslung im Tierheim waren, wurde Spazierengehen, an der Leine sein und Einwirkungen des Menschen am anderen Ende der Leine mit Stress verknüpft.

Der Hund zeigt lediglich die Gesamtheit dessen, was er gelernt hat.
Als seine neuen Menschen streng mit Lord werden, sieht er keine andere Möglichkeit, als zu drohen – er möchte nicht, dass auch sie ihm wehtun. Er weiß nicht, was er tun soll, wenn all diese Eindrücke auf ihn einprasseln.

Zum ersten mal in seinem Leben ist er fast ständig mit Menschen zusammen, er schläft kaum jemals tief.  Er hat erfahren, dass man Menschen besser nicht zu sehr vertraut, deshalb möchte er sie von seinem Ruheplatz fern halten. Aufmerksamkeit war so oft mit Schmerz verbunden.


Als sie ihm ihre Katze gezeigt haben, hat Lord kurz gezögert. An der Kette hat er diese Tiere immer vom Hof vertrieben. Der Bauer in seinem ersten Leben mochte es und feuerte ihn an, wenn er fremde Menschen und Tiere vom Hof hielt. Im Tierheim, als er zum Test im Katzenzimmer gewesen war, waren sie im Dutzend um ihn herum gestrichen, und sie anzuschauen hatte einen scharfen Schmerz an seinem Hals verursacht – er stürzt sich daher lieber lautstark auf das Exemplar seiner neuen Menschen, um es zu vertreiben.

Eigentlich hätte Lord gerne Kontakt zu anderen Hunde. Er konnte mit der älteren Hündin im Zwinger neben ihm gut durch das Gitter interagieren. Wie das ohne Gitter, mit fremden Hunden geht, das weiß er nicht.

Die Infos der Tierschützer, die Lord vermittelten, stammten hauptsächlich von seinem Paten, der stolz erzählte, wie gut der Hund schon folgte. Und dass er bei den Katzen nicht mal gezuckt hat.
Schäfer gelten ja als „Ein-Mann-Hunde“, also wird er wohl bei Fremden etwas Zeit brauchen, um aufzutauen. Aber wenn man ihn im Griff hat, so wie er, kann der Hund alles. Auch ohne Mucks an fremden Hunden vorbei gehen, das hat er ihm schnell abgewöhnt, das Hinziehen und Bellen!

So ging Lord in die Vermittlung. Vom Alltag in seinem neuen Leben hat er ein ziemlich verworrenes Bild. Er weiß nicht recht, was er soll, und ist auf der Hut. Genau so wie seine Menschen.

 

Nala
Nicht wie bestellt...das ist auch Nala.


Als Nala aufgegriffen und mit der Fangstange aus dem Hauseingang gezerrt wurde, in dem sie saß, hatte sie elf Tage auf der Straße verbracht, immer in Nähe der Wohnblocks. Die ganzen 8 Jahre ihres Lebens davor mit ihrem Menschen in einer kleinen Wohnung am Stadtrand. Sie hatten jeden Vormittag lange Spaziergänge unternommen, weil das nichts kostete und sich die Dame in der Pension fit halten wollte. Nala hieß damals noch Loreley und schlief im Bett. Bis zu jenem Tag, als Ihr Frauli im Stiegenhaus stürzte und abgeholt wurde. Nala sah sie nie wieder. Der Hausbesorger verfrachtete sie vor die Tür, sie würde schon zurecht kommen.


Im Tierheim landete Nala in einem Zwinger mit wesentlich größeren Hunde. Sie wagte sich nicht ans Futter, verkroch sich zur Sicherheit in der hinteren Hütte. Ihre Muskulatur schwand, das Gesicht wurde grau, das Fell stumpf und schmutzig. Der Pfleger hatte sie einmal am Nackenfell aus der Hütte gezerrt und in die Tierarztpraxis gebracht.

 

Seither friert sie regelrecht ein, wenn Menschenhände sich ihr nähern. Für ihr verängstigtes Schnappen hatte sie nämlich einen heftigen Schlag kassiert. Der Tierarzt untersuchte sie ganz kurz, impfte sie und schrieb 2012 als Geburtsjahr in den neuen Pass, und „Nala“ als Name. Den hatten sie schon länger nicht verwendet.

  • Loreley weiß nicht, was in ihrem Pass steht.
  • Loreley weiß, dass größere Hunde wirklich gefährlich und zum Fürchten sind.
  • Sie weiß, dass Menschen ihr weh tun, wenn sie Dinge um ihren Hals legen.
  • Sie weiß, dass man sich lieber nicht bewegt, wenn Menschen ihre Hände nach einem ausstrecken und sie anfassen.
  • Sie weiß aber auch, dass Spaziergänge etwas Schönes sind und wie man gemeinsam mit der Leine verbunden unterwegs ist. Dass Menschenmöbel zum drauf Schlafen da sind.
  • Und dass ihre neuen Mensch ganz viel ihrer Kommunikation nicht verstehen – so viele ihrer Signale, die früher immer funktioniert haben. Wenn sie bellt, sehen sie zumindest gleich zu ihr.
  • Und sie weiß, dass es ganz furchtbar ist, wenn einer ihrer Menschen aus ihrer Sicht gerät, weil es für immer sein könnte.


Nala hat die meiste Zeit ihres Lebens mit einer Person in engem Kontakt verbracht. Die dadurch entstehende gemeinsame Sprache funktioniert in ihrem neuen Zuhause nicht – sie braucht feinfühlige Zuhörer. Die Regeln ihres ersten Zuhauses hatte sie perfekt verinnerlicht. Nun fällt die Umstellung schwer.

 

Sie hat in ihrem Leben einen massiven Sicherheitsverlust erlitten und in der Extremsituation im Tierheim manche Reize nachhaltig als gefährlich abgespeichert.


Ihre Verlassensangst ist kein abnormales Verhalten, sie ist Ergebnis ihrer traumatischen Lerngeschichte.

 

 

Direktvermittlung – warum „einfach“ oft ganz schön kompliziert ist

Cuki, Lord und Nala sind drei typische Beispiele für die Direktvermittlung von Hunden aus dem Ausland. Im Internet ausgewählt, voller Vorfreude in erwartet und mit besten Vorsätzen aufgenommen.

Wegen allen drei dieser Hunde flossen wohl nach der Übernahme viele Emails, verzweifelte und verärgerte, zwischen Vermittler:innen und Adoptant:innen hin und her.


Erstere beharren darauf, den Hund wahrheitsgemäß beschrieben zu haben.
Letztere darauf, dass dies ja wohl kaum stimmen könne, wenn sie betrachten, was sie da bekommen haben.

 

Von Seite der Vermittler:innen…
Auch nach vielen Jahren im Tierschutz ist oft nicht das umfassende kynologische Hintergrundwissen da, das nötig wäre. Einschätzungen sind nur Momentaufnahmen, in bestimmten, kurzen Zeiträumen, in definierten Situationen. Vorgeschichten und Details zu den Hunden sind oft unbekannt. Prognoseartige Aussagen können in Anbetracht dessen in Wahrheit nicht getätigt werden. Dennoch würden Bewerber:innen genau diese – verständlicher Weise – gerne zur Verfügung haben.


Freiwillige Helfer:innen vor Ort haben in den vorherrschenden Zuständen oft völlig andere Begriffe von „freundlich“ oder „kann dieses und jenes“, Einschätzungen passieren bei hunderten Hunden binnen weniger Augenblicke.


Oft wird ein ablehnender Bescheid durch Vermittler:innen von den Antragsteller:innen nicht gut aufgenommen, als kränkend und beleidigend empfunden. Gute, professionelle, erfahrene Vermittler:innen sagen jedoch viel, viel öfter „Nein“ als „Ja“, weil sie wissen, dass es nicht im Sinne des Hundes ist, nur aus dem Shelter zu kommen, egal wohin.

 

Von Seite der Adoptant:innen…
Bei einer Direktadoption muss man sich dessen bewusst sein, dass man, bei allen Nachfragen und bemühten Antworten der Vermittler:innen, ein Überraschungspaket erhält.


Ein großer Pferdefuß bei der ganzen Sache besteht darin, dass Menschen nun auch gerne hören, was sie hören wollen.


Aber „Unsere Helferin vor Ort konnte Cuki nach kurzer Zeit streicheln“ heißt nun mal nicht, dass sich Cuki freudig in die Arme fremder Menschen wirft und sich ihr Sicherheitsgeschirr anlegen lässt.


„Lord ist bis zum Transporter Fuß gegangen“ bedeutet nur, dass er den wohlbekannten Weg durch’s Tierheim auf die ihm beigebrachte Art bewältigt hat, nämlich jene, die ihm dort immer den Leinenruck erspart hat. Im neuen Zuhause, hoch gestresst durch die bisherigen aversiven Lernerfahrungen, auf den Spaziergängen, bröckelt diese dünne Schicht Kadavergehorsam und er ist im Überlebensmodus.
„Nala lässt sich problemlos anfassen“ war die Beobachtung eines jungen Tierschützers, der in seinem Leben noch nichts von einer Freeze-Reaktion bei Stress gehört hat.

Adoptant:innen, die den riskanten Weg einer Direktvermittlung eingehen, müssen sich darüber im klaren sein, dass hier „A“ zu sagen einer Verpflichtung zu „B“, „C“ usw. gleichkommt.
Ein Durchspielen aller Szenarien, aller möglichen Konsequenzen, ist unumgänglich. Und wenn dabei ein „Puh, also DAS ginge wirklich absolut nicht“ oder „Der Hund muss wirklich unbedingt dieses oder jenes in der Lage sein“ im Raum steht, ist der Weg der Direktadoption nicht gangbar.

Bei einer Vorkontrolle oder einem Beratungsgespräch ist schnell versichert, durchaus von Herzen, dass nichts ein Hindernisgrund oder ein Problem darstellen könnte. Und dennoch sind es oft genau die während dessen angesprochenen Szenarien, die in der Praxis dann die Möglichkeiten übersteigen und den Vermittler:innen als Grund für die Wieder-Abgabe des Hundes genannt werden.

Sinnvoll ist es darüber hinaus, sich bereits vor der Adoption von gut ausgebildeten, spezialisierten Fachleuten beraten und begleiten zu lassen. Auch viele Jahre an Hundeerfahrung können in der Akutsituation nicht mehr ausreichen, oder Bewährtes plötzlich ganz und gar nicht mehr funktionieren. Adoptionen erfolgen aus Liebe zum Wesen Hund, aus dem Wunsch heraus, einem dieser Geschöpfe ein gutes neues Leben bieten zu können – und es sind Wissen und Empathie, die Menschen dazu befähigen, das dann in der Praxis auch leisten zu können.

Und ja, manchmal kann auch nach einer Beratung die Entscheidung gegen eine solche Adoption im Sinne aller Beteiligten sein.

Direktadoptionen sind nach wie vor Gang und Gäbe in der Tierschutzwelt. Kaum ein Hund hat die Chance auf eine gut ausgebildete Pflegestelle, die ihn auf sein neues Leben vorbereitet und wo er schrittweise von seinen neuen Menschen gründlich kennen gelernt werden kann.


Solange sich nicht grundlegend an den Ursachen für hunderttausende unerwünschte Hunde etwas ändert, wird sich die Welt des Auslandstierschutzes nicht ändern.


Solange helfen nur Bewusstseinsschaffung und die Verbreitung grundlegenden Wissens und Know-Hows rund um Hunde aus dem Auslandstierschutz, damit die Chance auf ein neues Leben tatsächlich eine ist.

Die Geschichten von Cuki, Lord und Nala sind so nahe an vielem, das ich erlebt und begleitet habe, dass der Begriff „frei erfunden“ einfach nicht zutrifft.


In all jenen Fällen, deren Derivat sie sind, ist das frühzeitige Zuziehen top ausgebildeter Verhaltenstrainer:innen mit Hintergrundwissen und Erfahrung im Tierschutzbereich der Weg zur Lösung der Thematiken.
Hundewiesenweisheiten, Facebookgruppen und selbsternannte Expert:innen ohne fundierte Ausbildung ändern bestenfalls nichts, führen schlimmstenfalls ins Desaster.

Profis für Menschen mit Hunden aus dem (Auslands)Tierschutz und solche, die es werden wollen, sind zu finden unter

www.voeht.at
www.grinsehunde.com

 

Susanne Junga-Wegscheider

Diplompädagogin und tierschutzqualifizierte Hundetrainerin

www.grinsehunde.com

www.vöht.at/susanne-junga-wegscheider

 

 

 

Fotos: Susanne Junga-Wegscheider

Anmerkung der VÖHT:

Die Blogtexte geben die individuelle Meinung und Herangehensweise der Autorin, des Autors wieder.